Das Studium ist für viele Studierende eine Zeit der Selbstfindung und der Emanzipation, aber auch eine der größten Herausforderungen in ihrem jungen Leben. Ein neues Umfeld, neue Bekanntschaften und Erwartungen von sich selbst und anderen, die man zu erfüllen hat. Für einige kann das schnell zu Schwierigkeiten oder zu einer übermäßigen psychischen Belastung führen. Im letzten Jahr war jeder sechste Studierende von einer psychischen Störung betroffen. Das entspricht in etwa 470.000 Personen in Deutschland. Jeder Dritte hat schon in der Kindheit oder Jugend Erfahrungen mit psychischen Krisen gemacht. Von zu hohem Stress bis hin zu Depression, Arbeits- und Lernstörungen, die Diagnosen sind so verschieden wie die Studierenden selbst, und die Tendenz ist steigend. Corona hat diese Situation noch verschärft: Isolation, Stress und Druck haben zu Depressionen und Angststörungen sind die Folge – mit der Rückkehr in den normalen Alltag entsteht eine Schocksituation, plötzlich wieder sozial funktionieren zu müssen. Für uns ist das Ziel aber klar: Studierende in Not brauchen eines – schnelle und unkomplizierte Hilfe. Die Liberalen Hochschulgruppen setzen sich für ein Studium ein, in dem alle Studierenden sich frei entfalten und ihr Potenzial voll ausschöpfen können. Egal ob eine temporäre oder dauerhafte; physische oder eine psychische Beeinträchtigung vorliegt, jede und jeder soll Zugang zu bester Bildung erhalten und die Möglichkeit haben, so viel zu leisten wie sie oder er kann und will. Um dies zu gewährleisten, ist Prävention ein wichtiger Bestandteil, um psychische Gesundheit zu fördern. Inklusion, Toleranz und Rückhalt sind essenziell für ein Studium, das allen offensteht, frei von Diskriminierung und Stigmata!

Entstigmatisierung und Sensibilisierung

Es gibt keine Gesundheit ohne die psychische Gesundheit. Aber auch im Jahr 2021 gibt es noch große Vorbehalte gegenüber der Validität und Relevanz von psychischen Störungen. Oft werden Probleme kleingeredet oder nicht ernst genommen, Schuld an einer psychischen Störung seien die Betroffenen selbst. Noch immer muss man mit einem Stigma oder mit negativen Konsequenzen rechnen, besonders wenn man sich später auf einen Arbeitsplatz bewerben will. Psychische Gesundheit muss einen festen Platz im Blick der Leitung auf Hochschul- und Fakultätsebene haben. Um dem entgegenzuwirken, brauchen wir mehr Akzeptanz und Wissen über psychische Störungen, sei es bei Professoren und Professorinnen, Dozierenden oder Kommilitonen und Kommilitoninnen. Informationen dazu müssen für alle leicht zugänglich gemacht werden, zum Beispiel bei Orientierungsphasen für Studierende im ersten Semester. Angebote zu Prüfungsangst, Stress oder Überarbeitung sollen hochschulweit deutlich mehr beworben werden, denn wenn es nur in einer Email am Anfang des Semesters einmal rumgeschickt wird, vergessen viele Studierende schnell wieder, dass es dieses Angebot gibt. Daher fordern wir Schulungen für Hochschul- und Lehrpersonal, um auf mögliche Probleme aufmerksam zu machen und diese präventiv angehen zu können. Inklusion muss als gesamtgesellschaftliche Aufgabe angesehen werden und das Thema mentale Gesundheit deutlich öffentlicher und häufiger kommuniziert werden.

Hilfe vor Ort und Online

Die gegenwärtigen Anlaufstellen für Studierende sind ein Flickenteppich aus hochschulinternen Angeboten wie der Psychotherapeutischen Ambulanz, privaten Plattformen und Hilfestellen für allgemein Hilfesuchende, wie die Telefon-Seelsorge. Zweckgebundene Hilfen für die Studenten- und Studierendenwerke sind bitter nötig, um die Reichweite zu vergrößern und weitere Standorte an Hochschulen deutschlandweit zu errichten. In den Beratungen selbst müssen qualifizierte Psychologen und Psychologinnen sowie Sozialarbeiter und Sozialarbeiterinnen arbeiten, um qualitativ hochwertige Hilfe für die Studierenden sicherzustellen. Die Psychotherapeutische Ambulanz ist ein sehr guter Ort für ein Erstgespräch, kann aber keine dauerhafte Lösung für betroffene Studierende sein. Aber auch hier tuen sich Probleme auf: lange Wartezeiten von 4 Wochen bis hin zu 6 Monaten können keine akut Hilfe leisten, wenn jemand verzweifelt ist und kurz davor den letzten Schritt zu tun. Unterbesetzte psychotherapeutische Anlaufstellen helfen niemandem, wenn die Studierenden auf einen Termin oder auch nur die Antwort einer Email zu lange oder vergeblich warten. Deswegen fordern wir mehr Personal für universitäre Anlaufstellen um mehr Studierenden einen schnellen und unkomplizierten Zugang zu Hilfe zu ermöglichen. Aber auch nach dem Erstgespräch sind die Hürden nicht umschifft: Langfristige Therapieplätze sind rar und mit hohen Wartezeiten von durchschnittlich sechs bis zwölf Monaten verbunden. Daher muss bei einem Erstgespräch evaluiert werden, wie schwerwiegend die Krisensituation des oder der Studierenden ist. Um akut betroffenen Studierenden die Suche nach einem langfristigen Therapieplatz zu vereinfachen, fordern wir die Priorisierung von genau diesen Studierenden bei der Suchhilfe von langfristigen Psychotherapieplätzen. Dazu braucht es direkte Absprachen und Kooperationen mit lokal niedergelassenen Psychotherapeuten und Psychotherapeutinnen. Psychosoziale Hilfe ist für alle betroffenen Studierenden zu genehmigen, die sie beantragen. Gerade für Studierende, die keinen Zugang zu einer örtlichen Psychotherapeutischen Ambulanz haben, ist es schwierig den ersten Schritt zu gehen und fachliche Hilfe aufzusuchen und zu finden. Um Hilfestellung und Beratung für jede und jeden zu garantieren, fordert die Liberalen Hochschulgruppe eine vollumfängliche, kostenlose und niedrigschwellige Online-Plattform für alle Studierenden, die psychotherapeutische Beratung beanspruchen wollen. Hier sollen Erstgespräche, persönliche Beratungen über Studien- und Lebenskrisen auch online durchgeführt werden können. So können Angebote für eine weit größere Anzahl von Personen zur Verfügung gestellt werden. Natürlich muss auch die einfache Weitervermittlung an psychologische Psychotherapeuten und -Therapeutinnen bei den Studierenden vor Ort über die Plattform möglich sein. Digitale und Hilfsangebote sind vollumfänglich auszubauen und Qualitätskriterien für die psychosoziale Prozessbetreuung sind zu erlassen. Der Datenschutz und die Anonymität des/der Einzelnen muss hier weiterhin stets gewährleistet sein. Des weiteren fordern wir eine breite und sichtbarere Kommunikation der entsprechenden Hilfe-Nummern (z.B. der psychologischen Beratungsstelle, Nummer gegen Kummer, etc.) sowohl auf Frauen- als auch auf Männertoiletten.

Prävention

Gerade bei psychosozialen Notständen ist Prävention besonders wichtig. Präventionsprogramme sind selten, gerade diese sind jedoch von großer Bedeutung, um eine Störung, die als sehr belastend empfunden wird, frühzeitig abfangen zu können und individuelle Strategien zum Umgang zu entwickeln. Frühkindlicher Stress kann die Wahrscheinlichkeit, später Depressionen, Diabetes und andere Krankheiten zu entwickeln, enorm erhöhen. Schon in der Schulzeit sollte auf die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen geachtet werden, sei es von Eltern, Lehrerinnen und Lehrern oder Sozialarbeiterinnen und Sozialarbeitern sowie Schulpsychologinnen und Schulpsychologen; die Länder sollen angehalten werden, dies in den Curricula aller relevanten Studiengänge zu integrieren. Das Achten auf die psychische Gesundheit muss zum Regelfall werden, wie der typische Arztbesuch. So werden angehende Studierende langfristig gesünder und psychische Schwierigkeiten können so eher verhindert oder abgemildert werden. Die Frequenz und Sichtbarkeit bundesweiter und lokaler Kampagnen zu Prävention und Psychischer Gesundheit wollen wir erhöhen.

Prüfungsordnungen liberalisieren

Bestimmte Prüfungsformen können ein starker Stressfaktor für viele Studierende sein, für die eine mündliche Prüfung oder ein Vortrag vor vielen Menschen schwierig zu meistern ist. Wir fordern daher eine freie Wahl der Prüfungsform für Studierende mit Nachteilsausgleich bei studienbegleitenden Prüfungen, zum Beispiel, aber nicht limitiert auf, Klausuren in separaten Räumlichkeiten, Umstellung von schriftlich auf mündlich und vice versa oder eine verlängerte Prüfungszeit für Betroffene. Auch schriftliche Arbeiten sollen durch andere Prüfungsformen ersetzt werden können, sofern es sich nicht um Abschlussarbeiten handelt. Lehramtsstudierenden soll es, aufgrund der überragenden Bedeutung des öffentlichen Redens, nicht möglich sein eine mündliche in eine schriftliche Prüfung umzuwandeln. Um Missbrauch vorzubeugen ist eine Evaluation und Empfehlung von einem privaten Psychotherapeuten oder Psychotherapeutin oder der Psychotherapeutischen Ambulanz erforderlich. Die An- und Abmeldung zu Prüfungen muss erleichtert werden, um Studierenden die Möglichkeit zu geben, Prüfungsleistungen nur dann abzulegen, wenn sie sich dafür zu dem Zeitpunkt in der Lage sehen. Als Liberale Hochschulgruppe fordern wir deshalb, die Corona Sonderregelung bis zu einem gewissen Grad beizubehalten und die allgemeine Anwesenheitspflicht abzuschaffen.

Teilzeitstudiengänge

Um allen Studierenden die größtmögliche Auswahl und Flexibilität zu sichern, sprechen wir uns für eine konsequente Erweiterung von Teilzeitstudiengängen und ihrer finanziellen Sicherung aus. Gerade für stressanfällige Studierende bieten diese Studiengänge eine bessere Möglichkeit, ihre Zeit eigenständig einzuteilen und so sicher und eigenständig ihr Studium meistern zu können. Daher fordern wir die Aufnahme von Teilzeitstudiengängen in die BAföG-Förderung, gleiches gilt für staatlich ausgeschriebene Stipendienprogramme. Teilzeitstudierende sollen innerhalb ihrer Regelstudienzeit so viel monetäre Unterstützung erhalten wie ein Vollzeitstudierender innerhalb der Regelstudienzeit eines Vollzeitstudiengangs. BAföG muss für alle Studierende, egal welcher Art von Studium und sozialem Hintergrund, elternunabhängig und unkompliziert sein. Auch soll hierfür die Schwelle der wöchentlichen Arbeitsbelastung der Studierenden von 40 Wochenstunden abgeschafft werden. Um Risse in der Förderung vorzubeugen und den Förderungsprozess zu vereinfachen fordern wir eine Vereinfachung der Regeln bei einer kurzzeitigen Unterbrechung des Studiums mit BAföG. Dafür soll die Grenze der Förderungsunfähigkeit von bisher 3 Monaten auf 6 Monate angehoben werden. Dauert eine Erkrankung länger als 6 Monate an, so ergeben sich weiterhin Ansprüche auf ALG II. Die Regelstudienzeit ist zu einem Stressfaktor für viele Studierende geworden, welche ihr Studium ohne BAföG nicht finanzieren können. Die Liberalen Hochschulgruppe fordert eine Verlängerung der Regelförderungszeit um mindestens zwei Semester über Regelstudienzeit.

Anspruch auf Nachteilsausgleich

Nachteilsausgleiche sind ein wichtiges Instrument, um chancengerechte Teilhabe im Studium herzustellen und Diskriminierung zu vermeiden. Wer eine Behinderung hat oder chronisch krank ist, kann oft nicht so studieren, wie sie oder er es vielleicht möchte. Man braucht länger als andere für Studienarbeiten oder hat Probleme, sich auf Prüfungen vorzubereiten. Doch diese Regeln gelten zurzeit nur für Studierende mit Behinderung oder Studierende mit chronischen Erkrankungen. Diese Rechte wollen wir nun auch für Studierende mit diagnostizierter psychischer Störung oder Erschwernis öffnen, um allen Studierenden die besten Chancen für ein erfolgreiches Studium zu geben. Um die Nutzung von Nachteilsausgleichen zu vereinfachen, fordern wir, sobald einmal genehmigt, diese automatisch für alle Prüfungen vergleichbarer Art angewendet werden kann.

Krankschreibung

Studierende die krank sind, sind auch prüfungsunfähig. Viele Fakultäten fordern neben einer normalen ärztlichen Krankschreibung in Form einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zusätzlich eine sogenannte Prüfungsunfähigkeitsbescheinigung. Die Liberalen Hochschulgruppe fordert die ersatzlose Abschaffung solcher Prüfungsunfähigkeitsbescheinigungen an der Uni Mainz. Auch setzen wir uns dafür ein, dass im Regelfall eine digitale Einreichung des Attestes ausreicht.

Raum schaffen für psychisch Betroffene

In Universitäten in den Niederlanden gibt es bereits Räume, in denen Studierende sich vom Studienalltag zurückziehen können. In diesen Räumen gibt es Sitz- und Liegemöglichkeiten und herrscht absolute Ruhe. Wir möchten als Liberale Hochschulgruppe ähnliches an der Uni Mainz etablieren. Gerade für hochsensible Menschen, Menschen mit Depressionen oder Angststörungen oder einfach Menschen, denen es jetzt zu viel wird unter Menschen zu sein, nachdem sie aus der Isolation der Coronazeit kommen, möchten wir einen Ruhepunkt im hektischen Alltag schaffen. Für diese Menschen sind alltägliche Dinge überfordernd und überstimulierend, sodass sie die Möglichkeit brauchen ihren Akku wieder aufzuladen, bevor sie in die nächste Vorlesung gehen. Wir fordern daher einen solche Raum in jedem Gebäude der Universität einzurichten, um Studierenden ein Angebot zu machen, damit alle ihr Studium bestmöglich absolvieren können.