„Die JGU Mainz verbietet politische Partizipation von Studierenden auf dem Campus“, behauptet die Linke Liste (LiLi) in einer kürzlich veröffentlichten Stellungnahme. Auch Campus Mainz berichtet und fasst die Ereignisse der letzten Woche zusammen. Der Artikel stützt sich vor allem auf die Aussagen der LiLi und ist in der Veröffentlichung auf Facebook zu der Frage zusammengefasst „Legitime Entscheidung oder eine Beschneidung studentischer Partizipationsrechte?“.

Hat der Uni-Präsident seine Kompetenzen überschritten? Wenn die LiLi die knappe Begründung des Präsidenten korrekt wiedergegeben hat, lautet die Antwort Ja. Aber nicht aus den Gründen, die von den Linken angeführt werden. Wird die Fehlentscheidung Konsequenzen haben? Vermutlich nicht, und daran ist die LiLi selbst schuld.

„allgemeinpolitisch“ ist nicht der entscheidende Punkt

Alle Beteiligten berufen sich auf die Grundordnung der Universität, in der geregelt ist, unter welchen Umständen Räume der Universität genutzt werden können. In Paragraf 3, Absatz 1 steht, dass bestimmte Veranstaltungen vorher genehmigt werden müssen, und zwar solche, die nicht durch den gesetzlichen Lehr-, Forschungs- und Verwaltungsauftrag der Uni abgedeckt sind. Das bedeutet im Klartext: Ganz normale Vorlesungen, Seminare usw. müssen nicht alle vom Präsidialbüro abgesegnet werden – nur für besondere Termine, etwa von Studierenden organisierte Diskussionen und Vorträge, muss überhaupt eine Genehmigung beantragt werden.

Wenn Präsident Krausch behauptet, die Veranstaltung könne nicht genehmigt werden, weil sie nicht durch das gesetzliche Aufgabenspektrum der Universität abgedeckt sei, ist das falsch. Oder genauer: Das ist einfach nicht der entscheidende Punkt.

Was in dieses Aufgabenspektrum gehört und was nicht, ist möglicherweise umstritten. Vor allem die Frage, wann etwas eine „allgemeinpolitische“ Betätigung darstellt, ist immer wieder Teil hitziger Debatten, bei denen es aber meist die Stellung der öffentlich-rechtlich organisierten Studierendenvertretung (vor allem des AStA) geht. Ob die Veranstaltung mit dem Titel „Die Arbeiter*innen- und Studierendenbewegung in Südafrika“ einen allgemein-, hochschul- oder bildungspolitischen Schwerpunkt hat, spielt bei der Erteilung der Genehmigung keine Rolle. Die Grundordnung stellt einfach nur klar, dass für diese Veranstaltung (wahrscheinlich) eine Genehmigung beantragt werden muss. Der Präsident muss also eine sachlich begründete Entscheidung darüber treffen, ob die LiLi diese Genehmigung erhält oder nicht. Die Behauptung, dass ein Vortrag nicht genehmigt werden kann, wenn er allgemeinpolitischen Charakter hat, ist also falsch.

Kafka und ziviler Ungehormsam

Welchen Sinn hätte es, eine Genehmigung zu beantragen, die überhaupt nicht erteilt werden kann? Hat Franz Kafka an der Formulierung der Grundordnung mitgewirkt? Ein Genehmigungsverfahren könnte man sich dann gänzlich sparen und Paragraf 3 würde lauten „Die Räumlichkeiten der Universität stehen nur für die Erfüllung der gesetzlichen Aufgaben zur Verfügung“. Der Präsident bzw. seine Rechtsabteilung missverstehen die Grundordnung und haben hastig eine Begründung präsentiert, die einem Gerichtsverfahren wahrscheinlich nicht standhalten würde. Da es sich nach der Darstellung der LiLi anscheinend um einen Widerruf einer schon erteilten Genehmigung handelt, sind die rechtlichen Hürden für die Universität sogar noch höher und mit dieser knappen Begründung nicht so leicht zu überspringen. Alles spricht also dafür, dass die Entscheidung rechtlich überprüft werden sollte und die Uni-Leitung am Ende ziemlich alt aussehen könnte.

Und was tut die Linke Liste? Sie holt keinen rechtlichen Rat ein, sondern praktiziert zivilen Ungehorsam, indem sie den Vortrag trotzdem stattfinden lässt und prahlt damit auf Facebook. Campus Mainz berichtet, dass die Uni ein weiteres Vorgehen wegen eines „Verstoßes gegen die Universitätsvorschriften“ prüft. Und das natürlich zu Recht, denn auch wenn die Entscheidung angreifbar ist, kann sie nicht einfach ignoriert werden. Hätte die LiLi den Rechtsweg genutzt oder einfach abgewartet, wäre sie unter Umständen als strahlende Siegerin vom Platz gegangen. Jetzt hat Krausch gute Gründe auf seiner Seite, den Linken auf absehbare Zeit keine Räume mehr zur Verfügung zu stellen. Wahrscheinlich stand die Linke Liste sich selbst im Weg, weil ihre Mitglieder es vorziehen, Konflikte mit Autoritäten außerhalb der rechtsstaatlichen Möglichkeiten auszutragen. Es gehört zum linken Selbstverständnis, nur die eigene Definition von Demokratie und politischer Partizipation gelten zu lassen und diese auch kompromisslos durchzusetzen.

Vorgeschobene Gründe

Das eigentliche Problem ist aber, dass die LiLi sich durch ihr Verhalten selbst disqualifiziert hat und in einer Diskussion um die Kompetenz der Uni-Leitung, studentisches Engagement einzuschränken, nicht mehr ernst genommen wird. Es wäre nämlich für alle politischen, weltanschaulichen, religiösen und sonstigen Uni-Gruppen wichtig gewesen, zu klären, wie weit die Meinungsfreiheit auf dem Campus reicht und unter welchen Umständen die Uni die Bereitstellung von Räumen verweigern kann. Da sie an Grundrechte gebunden ist, muss sie dies zumindest sachlich begründen, vor allem aber muss sie ein System zur Raumvergabe haben, das eine gleiche Behandlung sichert.

Die knappe, unzureichend begründete Antwort der Uni legt nahe, dass es hier nicht wirklich um „allgemeinpolitische Betätigung“ ging. Im Vorfeld der Veranstaltung waren Vorwürfe gegen den Referenten Faisal Garba laut geworden, er sei in israelfeindlichen und antisemitischen Gruppen aktiv. Ihm werden antisemitische Zitate zugeschrieben. In der Diskussion unter dem Facebook-Beitrag der LiLi kann nachvollzogen werden, um was es geht und welche Meinungen dazu vertreten werden. Das Ereignis reiht sich ein in eine nicht enden wollende Serie von Antisemitismus-Vorfällen und -Diskussionen an der Uni, die bundesweit bekannt geworden ist. Auch der Streit um die angekündigte und bisher nicht eingerichtete Israel-Professur ist nicht gerade gute Presse für den Standort Mainz. Es ist deshalb verständlich, dass der Präsident einen erneuten Eklat wegen antisemitischer Äußerungen möglichst geräuschlos unterbinden möchte.

Das Verständnis sollte aber nicht so weit gehen, sich über die fadenscheinig begründete Absage der Uni zu freuen, weil es „die richtigen trifft“. Beim nächsten Mal trifft es andere. Wenn sich die Praxis durchsetzt, dass alle „allgemeinpolitischen“ Veranstaltungen jederzeit vom Präsidialbüro als „nicht genehmigungsfähig“ abgebügelt werden können, gibt es für die Zukunft zwei Möglichkeiten. Entweder wird es so gut wie keine studentisch organisierten Abendveranstaltungen mehr geben, es sei denn, es handelt sich um Nachhilfe oder Lerngruppen. Oder, und das ist wahrscheinlicher, es wird willkürlich von Fall zu Fall entschieden. Wenn eine Gruppe oder ein Thema der Uni-Leitung nicht in den Kram passt, wird die Genehmigung mit einem Zweizeiler als Begründung verweigert. Beides sollten wir nicht zulassen.

Es ist nur Freiheit, wenn es weh tut

Die Meinungsfreiheit ist eines der höchsten Güter einer freiheitlichen und demokratischen Gesellschaft. Sie ist nicht nur dann gefährdet, wenn auf höchster staatlicher Ebene Maßnahmen der Zensur oder politischen Verfolgung Andersdenkender eingesetzt werden. Sie ist auch dann unter Beschuss, wenn eine Mehrheit sich stillschweigend darauf einigt, bestimmte Meinungen als so schädlich anzusehen, dass sie kleinere und größere Maßnahmen zu deren Unterdrückung duldet oder begrüßt. Als Menschenrecht muss die Meinungsfreiheit auch demjenigen zustehen, der sie dazu nutzt, abscheuliche und gefährlich dumme Gedanken zu äußern. Die Konfrontation dieser Gedanken mit den eigenen Ansichten, die öffentliche Debatte und die engagierte, auch emotionale, aber respektvolle Auseinandersetzung damit sind der einzige Weg, ihnen effektiv zu begegnen. Jedes Verbot und jede diskriminerende Maßnahme führen zu einer Ausweichstrategie und einer Märtyrer-Haltung bei den Betroffenen, die das Problem auf Dauer vergrößern.

Die Linke Liste ist in der Vergangenheit nicht dadurch aufgefallen, dass sie für diese Freiheit, die jedem zusteht, eintritt. Das äußerst sich etwa in der massiven Störung eines Vortrags, der mehrere Male unterbrochen werden musste und bei dem der Dozent beleidigt wurde. Egal was man von dessen Gesinnung hält: Die LiLi kann nicht ernsthaft wollen, dass diese Art der Auseinandersetzung Schule macht und ihre Veranstaltungen in Zukunft von Leuten gestört und verhindert werden, die dann ihre Referenten als „Arschlöcher“ bezeichnen.

Auch wenn sie es anderen nicht zugestehen: Das Recht, die eigene Meinung zu äußern, steht auch den Studierenden der Linken Liste zu, und das ist gut. Man kann und sollte sich auch für die Freiheit derjenigen einsetzen, deren Meinung man nur schwer erträgt. Als Liberale Hochschulgruppe tun wir das. Wir rufen dazu auf, die Freiheit der anderen auszuhalten.

Man könnte das mit einem Zitat von Rosa Luxemburg untermauern oder einem, das Voltaire zugeschrieben wird. Eindrucksvoller als Lippenbekenntnisse sind aber Haltungen wie die der schwarzen Bürgerrechtlerin Eleanor Holmes Norton, die als Anwältin in den 60er-Jahren einen Prozess vor dem Supreme Court für (!) eine Partei gewann, deren Mitglieder zutiefst rassistisch waren und dem Kuklux-Klan nahe standen: „The only way to make sure people you agree with can speak is to support the rights of people you don’t agree with.“

Also einfach ignorieren?

Das bedeutet nicht, dass Präsident Krausch einfach dabei zusehen muss, wie an seiner Uni die Maßstäbe für das, was unwidersprochen gesagt werden kann, von Extremisten jeder Art verschoben werden. Er hat neben Verboten und der Ausübung des Hausrechts noch andere, möglicherweise wirkungsvollere Mittel in der Hand, um sich einzumischen. Er kann zum Beispiel ein Zeichen gegen den (israelbezogenen) Antisemitismus auf dem Campus setzen, indem er sich persönlich dafür einsetzt, dass wieder Bewegung in die angekündigte Professur kommt. Er kann seine Wirkung in der Öffentlichkeit dazu nutzen, denjenigen den Rücken zu stärken, die Antisemitismus, Rassismus und anderen geistigen Irrfahrten bekämpfen und sich von denen distanzieren, die diese Bemühungen in Mainz aktiv untergraben. Senatsbeschlüsse für Toleranz und Offenheit reichen nicht aus, Papier ist geduldig. Und wie lange man unangenehme Meinungen mit Hilfe der Grundordnung vom Campus fernhalten kann, ist auch ungewiss.